Eigentlich wird einem erst durch persönliches Erleben die schier unfassbare Entwicklung unseres Eishockeys bewusst. Der Weg zum vierten WM-Final, dem zweiten hintereinander, lässt sich mit der Schweizer Uhrenindustrie anschaulich erklären.
Bei der 43. WM durfte der Chronist bereits den 4. Final erleben. Alles beginnt mit der B-WM 1981 in St. Ulrich im Grödner Tal in Italien. Anreise mit dem Döschwo (Citroën 2CV) – für mehr reichen die damals schon kargen Honorare nicht. Im Hotel Adler, wo auch die Verbandsfunktionäre hausen. Dass sie grosse Mengen Alkohol trinken, irritiert den jungen Berichterstatter mit seiner tief verwurzelten Ehrfurcht vor hohen Ämtern. Er verliert früh den Glauben an die Reinheit und Rechtschaffenheit der Funktionäre.
Die B-WM von 1981 ist ein toller Erfolg für unser Eishockey dieser Tage. Platz 3 hinter Italien und Polen! Potz Heilantonner! Nur die Niederlage gegen die von den Schiedsrichtern in skandalöser Art und Weise bevorteilen, knüppelharten Italo-Kanadier kostet uns den Wiederaufstieg. Aber ansonsten sind wir ganz flott unterwegs: 5:2 gegen Norwegen (wir werden uns 2025 wiedersehen), gar ein 8:3 über die starken Rumänen, 4:3 gegen die mächtigen Japaner, ein atemberaubendes 2:1 gegen die DDR und ein heldenhaftes 3:3 gegen die Titanen aus Polen.
Aber etwas anderes bleibt unvergesslich. Eigentlich hätte Langnaus schwedische Trainerlegende Arne Strömberg an der nationalen Bande stehen sollen. Ein freundlicher älterer Herr, 1962 mit Schweden Weltmeister und jetzt im Emmental als «Ätti» (Kosenamen für Grossvater) verehrt.
Doch den Prestige-Job will unbedingt Arosas flamboyanter schwedischer Meistertrainer Lasse Lilja, der wohl ungehobelteste Bandengeneral unserer Liga-Geschichte. Er bootet in einer famosen Intrige den arglosen «Ätti» aus. Die Mannschaft reist mit dem Bus zur WM. Beim Kaffeehalt in der Nähe von Feldkirch organisiert Lasse Lilja die Abfahrt so, dass Arne Strömberg den Bus verpasst. Die Langnauer werden ihn später dort abholen. Die Reise geht also ohne ihn weiter und Lasse Lilja ist nun Chef.
Womit wir zur Uhrenindustrie kommen. Der Buschauffeur kommt nach einem Training zu spät zur Eishalle, um die Spieler abzuholen. Lasse Lilja ist so erbost, dass er den saumseligen Fahrer mit einer kräftigen Ohrfeige an sein Pflichtbewusstsein erinnert. Der arme Mann fliegt ob der Wucht des Schlages gegen den Bus und verletzt sich leicht. Skandal!
Die Schweizer Delegation vertuscht die ganze Sache, indem sie dem Chauffeur eine Schweizer Uhr als Schweigegeld schenkt und ihn von einer Anzeige bei den Carabinieri abhält. Es musste sofort sein und einer der Funktionäre dafür halt seine Zeitmaschine hergeben.
Der Chronist, jung, unerschrocken, bissig, fleissig und nur der Wahrheit verpflichtet, ist Augenzeuge und hat zudem von Gewährsleuten von der hinterlistigen Intrige gegen Langnaus Trainer erfahren. Da nimmt ihn ein älterer, weitgereister und erfahrener Berichterstatter einer grossen Zeitung zur Seite, legt ihm den Arm um die Schulter und mahnt väterlich: «Es gibt Dinge, die bleiben unter uns, die schreibt man nicht.»
Diese Lehre beherzigt der Chronist und deshalb hat er bis heute nie etwas geschrieben, was den Funktionären oder sonst jemandem nicht kommod sein könnte.
Und nun bekommt nach jedem WM-Spiel der beste Spieler von beiden Teams eine nigelnagelneue Schweizer Uhr als Auszeichnung zum besten Spieler. Nicht einer unserer Funktionäre musste sie hergeben – es ist ein Sponsor, der nach jedem Spiel dem Besten beider Teams eine Uhr schenkt. Was für eine atemberaubende Entwicklung! Von der Ohrfeige zum 4. WM-Final. Kein anderer Sport in unserem Land hat sich auf internationalem Niveau so erfolgreich entwickelt wie das Eishockey.
Zwischen 1981 und 2025 hat es natürlich auch sonst noch allerlei Kurzweil gegeben. Einmal hatte der Chronist gar ein schlechtes Gewissen. Bei der B-WM 1989 in Norwegen – ach, wie waren diese zweitklassigen Turniere unterhaltsam! – mussten die Schweizer unbedingt aufsteigen, um bei der WM 1990 in Bern und Fribourg dabei zu sein. Der Gastgeber war damals noch nicht automatisch qualifiziert.
In der fast leeren Arena zu Lillehammer verlieren die Schweizer das kapitale Spiel gegen die Italiener 6:7. Wenn sich der Chronist richtig erinnert, hiess der Lottergoalie Renato Tosio.
Aber nicht der Name ist ihm im Gedächtnis haften geblieben. Sondern in erster Linie die Ausrede für die miserable Defensivleistung: Nationaltrainer Simon Schenk echauffiert sich über zwei Chronisten (einer schreibt heute noch, der andere war beim Fernsehen), die das Spiel hinter dem Schweizer Tor unmittelbar hinter dem Plexiglas auf Eis-Level hautnah verfolgt und auf das Spielgeschehen mit Scherzen und Lachen reagiert haben. Dadurch seien der Goalie und die Verteidiger irritiert worden. Wahrscheinlich war es eine Ausrede. Aber sicher ist: Es war sehr, sehr kurzweilig. Und mindestens sechs Tore haltbar.
Noch etwas ist mir aus dieser Zeit in guter Erinnerung geblieben. Ein Schiedsrichter Namens René Fasel hatte ein Spiel der Langnauer völlig verpfiffen. Auf dem Weg zum Eis zur Garderobe sagte ihm ein erboster Ordner: «Fasu, Du bisch ä Gigu!» Na ja, dieser Gigu hat dann eine schöne Funktionärskarriere gemacht. Bis in höchste Höhen des internationalen Verbandes. Käme er jetzt wieder in Langnau vorbei, so würden ihm wahrscheinlich einige Leute erneut sagen: «Fasu, Du bisch ä Gigu!» Aber aus politischen Gründen.
Tja, so unterhaltsam war das damals. Die Schweiz einmal in einem WM-Final? Ein Schweizer in der NHL? Vorher wird der Chronist SP-Bundesrat oder als verheirateter Protestant Weihbischof.
Dieser 4. WM-Final ist für einen Zeitzeugen, der die chaotische Vergangenheit noch erlebt hat, ein Wunder und die Niederlage zwar eine Enttäuschung. Aber der Stolz auf die Leistung überwiegt bei weitem.
Wir haben eine Entwicklung unseres Eishockeys hinter uns, die vergleichbar mit jener vom Rauchzeichen zum Internet in der Kommunikations-Technik ist.
Aber ein wenig trauert der Chronist schon der wahren Hockey-Romantik aus der B-WM-Zeit nach, als ein Nationaltrainer noch durch einen Kaffeehalt abgesetzt, ein Buschauffeur geohrfeigt und ein WM-Goalie durch Scherzen und Lachen aus dem Konzept gebracht werden konnte.
P.S. Leonardo Genoni hätte sich, wenn er damals das Tor gehütet hätte, sicher nicht irritieren lassen.
Demnach sollte es ja auch hier kein Problem sein von einem Gigu zu schreiben. Eventuell wissen aber auch nicht alle was das ist. 🤔